Neue Ambitionen, alte Vision
Die Technologiebranche versprach, virtuelle Realität würde das Unterhaltungserlebnis revolutionieren. Jetzt scheint dieser Moment greifbar nah.
Mit dem Oculus Rift begann vor rund zehn Jahren eine Ära, in der viele den Durchbruch für Virtual Reality erwarteten. Man glaubte, VR werde in kurzer Zeit den Massenmarkt erobern.
Im Jahr 2025 blieb der große Erfolg bisher aus. Dennoch setzen führende Unternehmen aus Technologie und Unterhaltung nun auf einen bevorstehenden Durchbruch.
Meta führt laut Medienberichten Gespräche mit Disney, A24 und weiteren Produzenten, um exklusive Inhalte für seine Quest-Brillen zu entwickeln. Apple veröffentlichte im Juni ein neues Update für sein Vision Pro, das gemeinsames Filmeschauen in 3D ermöglicht. Außerdem präsentierte Apple ein immersives Metallica-Konzert und kündigte im Juli ein Leistungs-Upgrade für sein Headset an.
Diese Entwicklungen zeigen, dass große Konzerne weiterhin darauf setzen, dass Verbraucher bereit sind, erhebliche Summen auszugeben, um Konzerte, Filme und Sportereignisse jenseits des klassischen Bildschirms zu erleben.
Vom Technologietest zur Marktreife
Zehn Jahre nach dem Oculus-Start sind Headsets leichter und leistungsfähiger geworden. Gleichzeitig steigt das Interesse der Unterhaltungsbranche an neuen Erzählformen.
Meta bot im Juni virtuelle Plätze bei Stanley-Cup-Spielen an – in Fortsetzung früherer VR-Angebote bei NBA- und WNBA-Spielen. Apple produzierte bereits immersive Shows mit Künstlern wie Alicia Keys. Auch Disney brachte 2024 direkt zum Start des Vision Pro eine eigene App heraus.
Doch diese Experimente dienten vor allem als Testläufe. Die Geräte steckten lange in einem „Henne-und-Ei“-Problem fest: Ohne Nutzer kein Content, ohne Content keine Nutzerbasis.
Für Sarah Malkin, Verantwortliche für Unterhaltungsinhalte bei Reality Labs, beginnt sich dieser Kreislauf jetzt aufzulösen. Ihrer Einschätzung nach erleben Nutzer bereits heute regelmäßig integrierte Mixed-Reality-Erlebnisse im Alltag.
Laut IDC stiegen 2024 die weltweiten Auslieferungen von VR- und AR-Headsets um rund 10 % auf 7,5 Millionen Stück. In den USA betrug das Wachstum fast 31 %. Für 2025 wird ein Rückgang erwartet, aber ab 2026 ein Anstieg auf 11,3 Millionen Geräte – fast doppelt so viele wie aktuell.
Meta investierte laut Brancheninformationen 3,5 Milliarden Dollar in EssilorLuxottica, um seine AR-Brillenstrategie auszubauen. Snap kündigte neue AR-Brillen für das kommende Jahr an. Google arbeitet mit Samsung und Xreal an Geräten auf Basis der Android-XR-Plattform. Samsungs Modell „Project Moohan“ soll bald erscheinen.
Bertrand Nepveu, ehemals an Apples Vision Pro beteiligt und heute Partner bei Triptyq Capital, betont die Bedeutung einer kritischen Nutzerzahl. Technisch stünden keine Hürden mehr im Weg.
Inhalte als Schlüssel zur Akzeptanz
Auch Prominente wie James Cameron und Sängerin Sabrina Carpenter setzen sich mit immersiven Formaten auseinander. Doch der breite Durchbruch blieb bisher aus – oft wegen veralteter Denkweisen der Studios.
Beraterin Jenna Seiden erklärt, dass Inhalte nicht einfach von bestehenden Plattformen übernommen werden könnten. VR-Erlebnisse müssten speziell für das neue Medium gestaltet sein.
Erfolgsmodelle aus dem Streamingbereich – wie exklusive Inhalte bei HBO Max oder Apple TV+ – zeigen, wie Anbieter Zielgruppen aufbauen können. Das Prinzip der Exklusivität könne laut Seiden auch auf VR übertragen werden.
Sportveranstaltungen eignen sich besonders gut für immersive Formate. Laut Paul Raphaël, Mitgründer von Felix & Paul, ermöglichen 180-Grad-Kameras eine einfache Übertragung von Events. Die Technik sei verfügbar, und viele Inhalte liefen bereits live oder zeitversetzt.
In einem Markt, der durch Streamingdienste, das Ende klassischer TV-Bundles und schwache Kinoumsätze ins Wanken gerät, könnte eine neue Plattform genau zur richtigen Zeit kommen. Jack Davis von CryptTV sieht in Headsets eine mögliche Zukunft für hochwertige Inhalte.
Finanzierungswandel und neue Hoffnungen
In den vergangenen Jahren wurden Investitionen in XR-Technologien häufig von Themen wie autonomem Fahren und KI überlagert. Crunchbase zeigt: Die Finanzierung für diese Bereiche stieg von 40 Milliarden Dollar im Jahr 2019 auf über 105 Milliarden im Jahr 2025.
XR erlebte dagegen ein Auf und Ab: 2021 erreichte das Segment noch 4 Milliarden Dollar, 2025 waren es nur noch rund 348 Millionen. Auch im Bereich Wagniskapital sanken die weltweiten Deals von 6,4 Milliarden Dollar im Jahr 2019 auf 3,6 Milliarden im Jahr 2025. Im Vergleich dazu: KI-orientierte VCs investierten 2025 mehr als 130 Milliarden Dollar.
Doch laut Nepveu kehren nun viele Budgets zurück zu XR, weil die Möglichkeiten und Grenzen von KI inzwischen klarer seien.
Trotzdem bleibt die Herausforderung bestehen: Verbraucher müssen überzeugt werden, dass sich die Geräte sowohl finanziell als auch praktisch lohnen. Apple betont deshalb, das Vision Pro sei mehr als nur ein Unterhaltungsgerät – es handle sich um ein Werkzeug für räumliches Arbeiten.
Trotz aller Fortschritte herrscht unter Experten Uneinigkeit darüber, wann der große Moment kommt. Nepveu erwartet ihn jederzeit, Raphaël in ein bis zwei Jahren, Davis in drei bis sieben, Seiden spricht von fünf bis zehn Jahren.
Raphaël vergleicht heutige 2D-Inhalte mit Schwarzweißfilmen: Auch sie verlieren nicht ihren Wert, wirken aber bald wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.