Künstlich erzeugtes Wahlkampfvideo löst politische und rechtliche Folgen aus
Der Aargauer SVP-Nationalrat Andreas Glarner steht wegen eines manipulierten Videos unter Druck.
Im Wahlkampf 2023 verbreitete er ein Deepfake, das fälschlich die Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan zeigte.
In dem Video schien sie Werbung für die SVP zu machen und sprach von „kriminellen Türken“.
Tatsächlich war das Video durch Künstliche Intelligenz verändert worden.
Arslan wehrte sich juristisch: Sie liess das Video umgehend sperren und erstattete Anzeige.
Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten stellte daraufhin einen Antrag auf Aufhebung von Glarners parlamentarischer Immunität – ein notwendiger Schritt, um strafrechtlich ermitteln zu können.
Nationalratskommission erlaubt Strafverfolgung
Am Freitag entschied die Immunitätskommission des Nationalrats mit knapper Mehrheit (5 zu 4), Glarners Immunität in diesem Fall aufzuheben.
Sollte die Rechtskommission des Ständerats diesen Entscheid bestätigen, kann die Justiz ein Strafverfahren gegen den SVP-Politiker einleiten.
Der Fall ist in der Schweizer Politik ein Novum:
Erstmals verbreitete ein Parlamentsmitglied ein KI-generiertes Video mit dem Ziel, eine Kollegin im Wahlkampf zu diskreditieren.
Die Parteipräsident:innen – mit Ausnahme der SVP – verurteilten das Vorgehen geschlossen.
Auch die Kommission zeigte sich besorgt: Solche Methoden gefährdeten das Vertrauen in demokratische Prozesse.
Sie betonte, dass der Schutz der Betroffenen und das öffentliche Interesse in diesem Fall schwerer wögen als Glarners Meinungsfreiheit.
Arslans Anwalt lobt Entscheidung – warnt vor Signalwirkung
Sibel Arslans Anwalt, Manuel Bertschi, begrüsste den Entscheid als sachlich richtig.
Er hätte sich jedoch ein deutlicheres Ergebnis gewünscht.
„Solche Eingriffe in die Identität könnten künftig jede und jeden treffen – unabhängig von der Parteizugehörigkeit“, sagte er.
Wiederholungsfall: Auch islamkritischer Tweet Thema in der Kommission
Nicht zum ersten Mal musste sich Glarner vor der Kommission erklären.
Im Jahr 2024 geriet er wegen eines Tweets unter Druck, in dem er sich kritisch zum Islam äusserte und den Hashtag #stoppislam verwendete.
Damals entschied die Kommission zunächst für eine Aufhebung der Immunität – der Ständerat machte diese Entscheidung später rückgängig.
Am Freitag wurde der Fall erneut besprochen. Dieses Mal entschied die Kommission, Glarners Immunität in dieser Sache zu belassen.
Begründet wurde dies mit dem Zusammenhang zur politischen Tätigkeit des Nationalrats.
Nun liegt die endgültige Entscheidung wieder beim Ständerat.
Gesetzesvorstoss gegen Deepfakes rückt näher
Der Fall Glarner verleiht der Debatte um Künstliche Intelligenz im Wahlkampf neuen Schub.
Bereits 2022 hatte Grünen-Nationalrat Raphaël Mahaim eine Motion eingereicht, die Deepfakes im öffentlichen Raum regulieren wollte.
Damals wurde sie vom Bundesrat abgelehnt. Nun mehren sich im Parlament die Stimmen für neue Gesetze.
Mehrere Parlamentarierinnen und Parlamentarier befürchten, dass derartige Manipulationen ohne klare Regeln bald häufiger auftreten könnten.
Der Fall Glarner hat damit nicht nur juristische, sondern auch gesellschaftspolitische Bedeutung – er stellt grundlegende Fragen zur Fairness von Wahlkämpfen im digitalen Zeitalter.