Digitale Therapie mit KI verkürzt Wartezeiten für Rückenschmerz-Patienten deutlich

by Eva Hoffmann
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Eine neue App mit künstlicher Intelligenz (KI) reduziert Wartezeiten bei Rückenschmerzen um mehr als die Hälfte. In einer dreimonatigen Pilotphase mit dem Cambridgeshire Community Services NHS Trust testeten Patientinnen und Patienten in Cambridgeshire und Peterborough erstmals das digitale Programm. Die App übernimmt Triage, Behandlung und Entlassung – ganz ohne direkten Kontakt zum Fachpersonal. Der NHS berichtet, dass so rund 2.500 Stunden an Arbeitszeit eingespart wurden, die nun für komplexere Fälle zur Verfügung stehen.

Rückenschmerzen überfordern das System

Jayne Davies, leitende Klinikerin für muskuloskelettale (MSK) Therapien, sieht in der App großes Potenzial. „Ein Drittel unserer Arbeit betrifft Rückenschmerzen, aber die Nachfrage ist größer als unsere Kapazitäten“, sagte sie. Ihrer Ansicht nach könnte die Technologie ein Wendepunkt sein, wenn sie gezielt eingesetzt wird. „Wir können auf nationaler Ebene nicht genug Fachkräfte ausbilden oder finanzieren, um dem Bedarf gerecht zu werden“, so Davies weiter.

Erste App mit offizieller Zulassung

Entwickelt wurde die App vom Unternehmen Flok Health in Cambridge. Sie ist die erste KI-gestützte Therapieanwendung für Rückenschmerzen, die von der britischen Pflegeaufsicht offiziell zugelassen wurde. Laut NHS erleben etwa 80 Prozent der Erwachsenen irgendwann Rückenschmerzen. MSK-Erkrankungen zählen in Großbritannien zu den Hauptursachen für Arbeitsausfälle und körperliche Einschränkungen. Die durchschnittliche Wartezeit auf MSK-Termine liegt derzeit bei über 18 Wochen.

Patientinnen loben einfache Anwendung

Annys Bossom aus Brampton, Cambridgeshire, war eine von rund 2.500 Personen, die an der Testphase teilnahmen. Seit 25 Jahren leidet sie an einem verdrehten Becken und ständigen Rückenschmerzen. „Zuerst war ich enttäuscht, nur eine App zu bekommen, aber dann war ich positiv überrascht“, sagte sie. Die Übungen seien für sie neu und wirksam gewesen. „Die Demonstration auf dem Bildschirm war viel motivierender als Anleitungen auf Papier.“ Besonders schätzte sie die Flexibilität, die Übungen nach ihrem eigenen Zeitplan zu machen.

Soforthilfe bei akuten Beschwerden

Sharon McMahon, Grundschullehrerin aus Hardwick, war ebenfalls Teil des Projekts. Sie fiel wegen starker Rückenschmerzen zwei Wochen lang aus und wartete bereits 17 Wochen auf eine Behandlung, als die App ihr angeboten wurde. „Ich konnte sofort loslegen und meine Übungen selbst timen“, berichtete sie. Innerhalb weniger Wochen war sie wieder arbeitsfähig.

Gezielte Diagnostik und individuelle Trainingspläne

Die App beginnt mit einem Fragenkatalog zur Schmerzeinschätzung und erstellt danach ein persönliches Trainingsprogramm. Die Übungen werden von Physiotherapeutin Kirsty Henderson vorgemacht, die auf 15 Jahre Erfahrung in NHS und Privatpraxis zurückblickt. Eine Überweisung kann durch Hausärztinnen erfolgen oder selbstständig über die Flok-Klinik beantragt werden.

Deutliche Entlastung der MSK-Dienste

Die Auswertung der Pilotphase zeigt klare Vorteile: 80 Prozent der Teilnehmenden fanden die digitale Behandlung genauso gut oder besser als eine persönliche. 98 Prozent konnten komplett digital betreut und entlassen werden, nur zwei Prozent benötigten ein persönliches Gespräch. Monatlich wurden durch die App 856 Stunden Behandlungszeit eingespart. Die durchschnittliche Wartezeit auf MSK-Therapie sank von 18 auf unter 10 Wochen. Die Zahl der Rückenschmerzfälle auf der Warteliste verringerte sich um 55 Prozent.

Sorgen über Daten und Kontrolle bleiben

Trotz der Erfolge bleiben Vorbehalte gegenüber KI im Gesundheitsbereich. Die Stiftung Health Foundation fand 2024 heraus, dass jede sechste Person in Großbritannien KI eher kritisch gegenübersteht. Besonders der Datenschutz und die Qualität der Trainingsdaten stehen im Fokus der Kritik. Die Stiftung fordert mehr Einbindung der Öffentlichkeit, wenn der Staat Technologien stärker im Gesundheitssystem nutzen will.

App ersetzt keine Physiotherapeutinnen

Kirsty Henderson sieht durch die App keine Gefahr für ihren Berufsstand. „Es wird immer Menschen geben, die persönliche Betreuung brauchen“, sagte sie. Vielmehr gewinne man durch das System wertvolle Zeit für komplizierte Fälle. „Die Belastung im NHS war enorm“, betonte sie.

Persönliche Erfahrungen als Auslöser

Finn Stevenson, Mitgründer von Flok Health, entwickelte die Idee nach eigenen Therapieerfahrungen. Nach seiner Karriere als Profiruderer wartete er lange auf MSK-Behandlung. „In herkömmlichen Systemen gibt es einfach zu wenig Fachkräfte“, sagte er. „Unsere App fühlt sich an wie ein Videogespräch mit einer echten Therapeutin.“

Berufsverband warnt vor Personalmangel

Der britische Verband für Physiotherapie erkennt das Problem der langen Wartezeiten an. Ash James, Leiter für Praxisentwicklung, beschreibt die Situation als kritisch. „Die Nachfrage ist hoch, doch viele NHS-Regionen haben einen Einstellungsstopp verhängt.“ Rückenschmerzen seien oft gut selbst behandelbar, so James. KI könne dabei eine sinnvolle Unterstützung sein – aber nur mit Fachbegleitung, Sicherheit und menschlicher Kontrolle.

Menschliche Hilfe bleibt unersetzlich

Flok Health betont, dass bei auffälligen Antworten sofort eine Fachkraft benachrichtigt wird. In solchen Fällen erfolgt ein persönlicher Anruf. Zusätzlich können Patientinnen und Therapeuten über die Plattform direkt Nachrichten austauschen. Kirsty Henderson war anfangs skeptisch, ob das System die Feinheiten in der Beschreibung von Beschwerden erfassen könne. Heute ist sie überzeugt: „Die App erkennt erstaunlich viel, aber wir müssen eingreifen, wenn es ernst wird.“

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