Masernfälle explodieren trotz früherer Ausrottung
Die Vereinigten Staaten verzeichnen so viele Masernfälle wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Damals galt die Krankheit als offiziell eliminiert. Doch aktuell steigen die Infektionszahlen dramatisch. Parallel dazu gehen in über 30 Bundesstaaten die Impfquoten bei Kindern zurück. Besonders betroffen sind Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln, Polio, Windpocken und Keuchhusten, so die aktuellen Daten der US-Gesundheitsbehörde.
Viele glauben, dass ihre eigene Impfung ausreiche. Doch reicht individueller Schutz wirklich aus, wenn sich ansteckende Krankheiten wieder verbreiten? Welche Folgen bringt ein Rückgang der Impfrate mit sich? Betrifft dies nur Kinder oder auch Erwachsene? Wer ist besonders gefährdet? Und wie kann man dieser Entwicklung entgegenwirken?
Diese Fragen beantwortete Dr. Leana Wen, Notfallmedizinerin und Professorin an der George Washington University. Sie leitete zuvor das Gesundheitsamt in Baltimore.
Impflücken führen weltweit zu Krankheitsausbrüchen
Dr. Wen berichtet von zahlreichen internationalen Beispielen. In Ländern, die Polio besiegt hatten, kam es nach Krieg oder Krisen zu neuen Ausbrüchen – wegen unterbrochener Impfkampagnen. Auch Masern traten in Gebieten wieder auf, in denen sie als ausgerottet galten – durch sinkende Impfraten.
Ein ähnliches Szenario spielt sich derzeit in den USA ab. In Texas wurden seit Januar 753 Masernfälle bestätigt. 98 Erkrankte mussten ins Krankenhaus, zwei Kinder starben. Die Ausbrüche konzentrieren sich auf Gebiete mit besonders niedriger Durchimpfung.
Ein Rückgang der Impfquote hätte laut einer Studie katastrophale Folgen. Schon ein Minus von 10 Prozent bei der MMR-Impfung könnte über 11 Millionen Maserninfektionen innerhalb von 25 Jahren verursachen. Ein Rückgang um 50 Prozent könnte 51 Millionen Masern-, 9,9 Millionen Röteln- und 4,3 Millionen Poliofälle nach sich ziehen.
Außerdem rechnen Fachleute mit schweren Krankheitsverläufen: 10,3 Millionen Menschen müssten stationär behandelt werden. 159.200 könnten sterben. 5.400 würden infolge einer Polioinfektion gelähmt bleiben, 51.200 könnten neurologische Schäden durch Masern erleiden.
Auch Geimpfte tragen weiterhin ein Risiko
Manche Menschen glauben, dass Geimpfte sicher seien. Dr. Wen nennt drei Gründe, warum das nicht stimmt.
Erstens: Kein Impfstoff schützt zu 100 Prozent. Zwei Dosen MMR bieten zwar 97 Prozent Schutz gegen Masern – doch es bleibt ein Restrisiko. Je mehr Erkrankte in der Umgebung sind, desto größer wird die Gefahr, sich trotz Impfung zu infizieren. Die Impfung schützt aber in jedem Fall vor schweren Verläufen.
Zweitens: Der Impfschutz kann mit der Zeit nachlassen. Die Wirksamkeit etwa gegen Keuchhusten verringert sich Jahre nach der Impfung. Ältere Erwachsene, deren Kinderschutzimpfungen lange zurückliegen, könnten erneut gefährdet sein.
Drittens: Einige Menschen dürfen bestimmte Impfungen nicht erhalten – etwa wegen Immunschwäche. Dazu gehören Patienten mit Krebs, Organtransplantationen oder anderen Erkrankungen. Auch Menschen mit geschwächtem Immunsystem entwickeln oft keinen ausreichenden Schutz. Sie verlassen sich darauf, dass ihr Umfeld durch Impfung Infektionen verhindert.
Schwangere sind besonders schutzbedürftig
Schwangere dürfen keine Lebendimpfstoffe wie MMR erhalten. Doch gerade Röteln sind für Ungeborene sehr gefährlich. Infektionen können zu Fehlgeburten, Totgeburten oder schweren Schäden führen – bekannt als kongenitales Rötelnsyndrom. Dieses kann zu Herzfehlern, geistiger Behinderung, Taubheit, Lungen- oder Leberproblemen sowie Augenschäden führen.
Laut Weltgesundheitsorganisation wurden früher bis zu vier von 1.000 Babys mit dieser Erkrankung geboren. Röteln sind weltweit die häufigste Ursache vermeidbarer Geburtsfehler.
Auch die Impfung gegen Windpocken fällt in diese Kategorie. Deshalb sollte der Impfschutz idealerweise bereits vor einer Schwangerschaft bestehen. Gleichzeitig können auch andere durch ihre Impfung das Risiko für Schwangere senken.
Gefährdete Gruppen brauchen unseren Schutz
Laut Dr. Wen existieren drei besonders gefährdete Gruppen.
Erstens: Neugeborene. Sie sind zu jung für Impfungen und sehr empfindlich. Was für Erwachsene harmlos ist, kann für Säuglinge lebensbedrohlich sein.
Zweitens: Immungeschwächte Menschen. Dazu gehören Krebspatienten, Menschen nach Organtransplantationen und Personen mit chronischen Erkrankungen. Diese Menschen haben ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe und können oft selbst nicht ausreichend geimpft werden.
Drittens: Ältere Menschen. Ihr Alter und mögliche Vorerkrankungen erhöhen das Risiko schwerer Erkrankungen. Zudem nimmt der Impfschutz im Alter ab. Eine niedrige Impfrate in der Bevölkerung kann für sie gefährlich werden.
Vorsorge verhindert neue Epidemien
Jede Person sollte ihren Impfstatus regelmäßig mit dem Hausarzt klären. Eltern sollten dies für ihre Kinder beim Kinderarzt tun. Auch Erwachsene sollten auf ihren Impfschutz achten.
So schützt man sich selbst und erkennt, ob Auffrischungsimpfungen nötig sind oder ob bestimmte Impfungen nicht möglich sind – etwa aus gesundheitlichen Gründen. In solchen Fällen helfen gezielte Schutzmaßnahmen.
Doch es geht um mehr als Selbstschutz. Herdenimmunität funktioniert nur, wenn möglichst viele mitmachen. Wer sich impfen lässt, schützt auch jene, die nicht geimpft werden dürfen – und rettet im Ernstfall Leben.